Das Geheimnis der Winzerin – Cynthia Ellingsen | Eine Rezension
Hinweis: Dieses Buch durfte ich vorab über NetGalley lesen – herzlichen Dank an den Verlag für das digitale Leseexemplar. [Werbung]
Ein atmosphärischer Roman über Familiengeheimnisse, Vertrauen und die Kraft der Liebe
Es gibt Bücher, die wie ein guter Wein ihren vollen
Geschmack erst nach und nach entfalten – und nachhaltig im Gedächtnis bleiben. Das
Geheimnis der Winzerin von Cynthia Ellingsen gehört dazu. Was zunächst wie
ein beschaulicher Familien- und Liebesroman in idyllischer Weinbergkulisse
anmutet, entpuppt sich rasch als fesselnde Mischung aus Familiendrama und
Mystery. Schauplatz ist ein kleines Städtchen am Lake Michigan, wo die junge
Abby Harrington das Weingut ihrer Familie über Generationen hinweg mit
Leidenschaft weiterführt. Doch als bei einer Feier die wertvolle Weinsammlung
der Familie gestohlen wird und kurz darauf ihr geliebter Großvater bei einem
Flugzeugabsturz schwer verunglückt, wird klar: Jemand will der alteingesessenen
Winzerfamilie schaden. Abby sieht sich plötzlich mit gleich zwei
Herausforderungen konfrontiert – den geheimnisvollen Angriffen auf ihr
Familienerbe und den Abgründen, die sich hinter den vertrauten Fassaden auftun.
Literarische Qualität
Stilistisch überzeugt Ellingsens Roman als weit mehr als
bloße Unterhaltungslektüre. Die Atmosphäre des Weinbergs und des kleinen
Küstenorts ist so lebendig eingefangen, dass man beim Lesen förmlich die
sonnendurchfluteten Rebzeilen vor sich sieht. Ellingsens Sprache ist klar und
flüssig, ohne banal zu wirken. Insbesondere in den Dialogen der Familie
Harrington schwingt viel Herzlichkeit, aber auch unausgesprochene Spannung mit,
was die Figuren authentisch wirken lässt. Die Autorin schreckt nicht davor
zurück, neben Momenten zarter Romantik auch düstere Untertöne einzuflechten. So
entsteht ein reizvoller Kontrast: Zwischen Weinromantik und Bedrohung hält
Ellingsen eine Balance aus Leichtigkeit und Spannung, die die Leser*innen bei
der Stange hält.
Zudem ist der Roman geschickt aufgebaut: Statt langer
Exposition zieht uns Ellingsen sofort ins Geschehen – schon im ersten Kapitel
schlagen Diebstahl und Unfall wie ein Blitz ein. Diese temporeiche Eröffnung
weckt sofortige Neugier. In der Folge wechselt der Roman gekonnt zwischen
Phasen erhöhter Spannung und ruhigeren Passagen, in denen die Figuren an Profil
gewinnen. Zwar gibt es im Mittelteil Momente, in denen sich die Handlung etwas
gemächlicher entfaltet, doch diese Verschnaufpausen dienen der Vertiefung der
Familiengeschichte und erhöhen die emotionale Fallhöhe. Spätestens im letzten
Drittel zieht das Tempo wieder an: Enthüllungen und Wendungen überschlagen sich
förmlich – bis hin zu einem Finale, das sowohl dramatisch als auch gefühlvoll
überzeugt. Ellingsen hält alle Fäden bis zum Schluss fest in der Hand, sodass
sich die Puzzleteile am Ende stimmig zusammenfügen.
Psychologische Tiefe
Besonders auffällig ist die sorgfältige Zeichnung der
Figuren und die psychologische Glaubwürdigkeit ihrer Konflikte. Abby Harrington
trägt das Erbe des Weinguts auf ihren Schultern – und damit auch erhebliche
Erwartungen. Sie träumt seit langem davon, einmal die Leitung des Betriebs zu
übernehmen, doch ihr Großvater zögerte bisher, ihr die Zügel vollständig
anzuvertrauen. Diese Zurückhaltung lastet auf Abby: Man spürt ihren inneren
Kampf zwischen dem Bedürfnis, sich zu beweisen, und der Loyalität gegenüber der
Familie. Als plötzlich ihr lange abgängiger Bruder Dean zur Familie
zurückkehrt, kochen alte Gefühle hoch. Dean hatte in der Vergangenheit mit
einer Drogensucht zu kämpfen, was zum Zerwürfnis führte – nun steht die Frage
im Raum, ob ausgerechnet er in die aktuellen Vorfälle verwickelt sein könnte.
Ellingsen fängt Abbys Zwiespalt zwischen Vertrauen und Zweifel einfühlsam ein:
Die Protagonistin muss lernen, ihrer Intuition zu folgen, ohne vorschnell zu
urteilen, und mit der Angst um das Familienoberhaupt umzugehen. Dabei wird auch
Abbys eigene Verletzlichkeit sichtbar – etwa in Erinnerungen an eine schwere
Krankheit in ihrer Kindheit, die nun wieder an die Oberfläche dringen, als ihr
Großvater im Sterben liegt. Solche persönlichen Hintergründe verleihen Abby
spürbare Tiefe und machen ihren Mut, sich den Bedrohungen zu stellen, umso
beeindruckender.
Die Nebenfiguren sind mit ebenso viel Liebe zum Detail
gezeichnet. Abbys Großmutter hütet ein schmerzhaftes Geheimnis aus der
Vergangenheit – eine Bürde, die sie aus Angst vor dem Zerbrechen der Familie
alleine getragen hat. Hier beleuchtet der Roman eindringlich, wie Geheimnisse
über Generationen weiterwirken können. Jener dunkle Fleck in der
Familiengeschichte wirft die Frage auf, wie gut man die Menschen kennt, die man
sein Leben lang liebt. Auch die beiden Männer in Abbys Leben erhalten
nachvollziehbare Konturen: Braden, der Arzt, der Abbys Großvater das Leben
rettet, strahlt Güte und Ruhe aus; er wird zu einem Anker für Abby in
stürmischen Zeiten. Jax, Abbys Jugendliebe, dagegen bringt Aufruhr mit – er
verkörpert all das Vertraute und Verlorene zugleich, und mit seiner Rückkehr
flammt nicht nur die alte Liebe, sondern auch der alte Schmerz wieder auf. Die
Dreiecksbeziehung entwickelt sich dabei ohne klischeehafte Überzeichnung: Abby
ringt ehrlich mit ihren Gefühlen und versucht, Kopf und Herz in Einklang zu
bringen. Überhaupt dürfen alle Figuren Fehler machen und Verletzlichkeit
zeigen. Gerade diese Unvollkommenheiten – Eifersucht, Schuldgefühle, Angst –
machen den emotionalen Kern der Geschichte aus. Man fiebert und leidet mit
jedem Harrington-Familienmitglied mit, wenn latente Konflikte an die Oberfläche
brechen. Am Ende stehen glaubwürdige Veränderungen: Vergebung wird möglich,
Vertrauen wächst nach – aber nicht ohne dass die Figuren dafür innere Hürden
überwinden mussten. Diese behutsame Entwicklung verleiht dem Roman
psychologischen Tiefgang jenseits bloßer Spannung.
Gesellschaftliche Relevanz
Obwohl Das Geheimnis der Winzerin primär die
Geschichte einer einzelnen Familie in einer kleinen Gemeinde erzählt, schwingen
darin einige zeitlose Themen mit. Im Kern geht es um Vertrauen – und wie
zerbrechlich es sein kann, selbst in engsten Beziehungen. Ellingsen zeigt auf,
wie ein Schock Ereignis (hier der Diebstahl und der Unfall) latente Risse im
Familiengefüge sichtbar macht. Das ist bemerkenswert universal: Viele
Leser*innen werden nachempfinden können, wie unausgesprochene Wahrheiten oder
Lügen Familien belasten. Der Roman regt somit dazu an, über Ehrlichkeit im
familiären Umfeld nachzudenken. Welche Geheimnisse bewahren wir, um unsere
Liebsten zu schützen? Und richtet diese vermeintliche Rücksicht am Ende
womöglich mehr Schaden an als die Wahrheit?
Darüber hinaus thematisiert der Roman auf indirekte Weise
den Umgang mit persönlichen Fehltritten und gesellschaftlichen Vorurteilen.
Durch Deans ehemalige Drogensucht wird die Frage aufgeworfen, wie sehr ein
Mensch sich ändern kann und ob eine Gemeinschaft – in diesem Fall die Familie –
bereit ist, ihn ohne Vorbehalte wieder aufzunehmen. Das spiegelt eine Realität
wider, mit der viele Familien konfrontiert sind: Vergangenes Fehlverhalten
führt zu Misstrauen, und es braucht Zeit und Offenheit, um verlorenes Vertrauen
wieder aufzubauen. Ellingsens einfühlsame Darstellung dieser Dynamik – zwischen
Hoffnung auf einen Neuanfang und Angst vor erneutem Verrat – verleiht dem Buch gesellschaftliche
Resonanz: Es geht um zweite Chancen und den Wert von Versöhnung.
Nicht zuletzt berührt die Geschichte auch Fragen der Gleichberechtigung
und Tradition. Dass Abby als Enkelin um die Anerkennung als Nachfolgerin
kämpfen muss, während der abwesende Enkelsohn seine Ansprüche anmeldet, liest
sich als subtiler Kommentar auf traditionelle Rollenbilder im Familienbetrieb.
Die Weinbranche ist historisch eher von Männern dominiert; umso relevanter ist
die Botschaft, dass Kompetenz und Leidenschaft nicht von Geschlecht oder Alter
abhängen. Abby muss sich in einer von Männern geprägten Domäne behaupten – ein
Prozess, der stellvertretend für viele junge Frauen stehen kann, die familiäre
oder berufliche Verantwortung übernehmen wollen. Das Geheimnis der Winzerin
feiert in diesem Sinne auch den Mut starker Frauen, ihren Weg zu gehen, ohne
dabei die Wurzeln ihrer Familie zu vergessen.
Persönliche Wirkung
Als Lektorin und gleichzeitig begeisterte Leserin hat mich
dieser Roman sowohl professionell überzeugt als auch persönlich berührt.
Ellingsen gelingt es, die Spannung bis zur letzten Seite aufrechtzuerhalten –
ich habe mich mehr als einmal dabei ertappt, wie ich atemlos mitgerätselt habe,
wer hinter den Sabotageakten steckt, und dabei die Zeit vergaß. Gleichzeitig
hat mich die Geschichte auf einer emotionalen Ebene angesprochen. Einige
Passagen – etwa wenn Abby nachts am Krankenbett ihres Großvaters sitzt oder
endlich das Familiengeheimnis entschlüsselt – gingen mir richtig unter die
Haut. Wie viel wissen wir eigentlich über die Kämpfe und Träume unserer
Großeltern? Und wie würden wir selbst handeln, stünde das Lebenswerk unserer
Familie auf dem Spiel?
Das Geheimnis der Winzerin hat in mir diese Fragen
wachgerufen, ohne je belehrend zu sein. Der Roman bietet Spannung und
Geborgenheit zugleich: Man bangt und hofft mit Abby, und am Ende bleibt – bei
aller Dramatik – ein Gefühl von Wärme und Zuversicht. Denn die Botschaft, die
zwischen den Zeilen hervorleuchtet, ist eine hoffnungsvolle: Offenheit und
Zusammenhalt können selbst die tiefsten Gräben überwinden. Literarisch
beeindruckt hat mich, wie harmonisch Ellingsen disparate Elemente verbindet.
Familienroman, Krimielemente, Liebesgeschichte – all das greift hier ineinander
wie Zahnräder. Als jemand, der selbst schreibt, habe ich die elegante
Handwerkskunst bewundert, mit der jede Szene ihren Zweck erfüllt, jeder Dialog
zugleich Plot vorantreibt und Charakter enthüllt. Darüber hinaus war die
Lektüre einfach ein sinnliches Vergnügen: Die Wein-Thematik ist mit so viel Leidenschaft
geschildert, dass ich mir zwischendurch glatt ein Glas meines Lieblings-Weins
eingeschenkt habe – die Begeisterung für edle Tropfen wirkt ansteckend.
Quellenhinweise
Diese Rezension basiert auf der Lektüre des Romans Das Geheimnis der Winzerin von Cynthia Ellingsen (deutsche Übersetzung von Anja Mehrmann) sowie auf ergänzenden Informationen aus ersten Leser*innenstimmen und öffentlichen Quellen – u. a. NetGalley, Goodreads, LovelyBooks und Verlagsangaben –, die zur Einordnung von Handlung, Stil und Wirkung des Buches herangezogen wurden.
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